INTO THE WILD: nautic media auf der #republica 14 in Berlin unterwegs
In Berlin findet vom 06.-08. Mai die re:publica 14 statt, die mittlerweile größte und bedeutendste deutsche Netzkonferenz. Was 2007 als ein Bloggertreffen mit einer noch recht überschaubaren Anzahl von Teilnehmern begann, ist mittlerweile eine Großveranstaltung mit 9 Bühnen und über 6000 Teilnehmern. Das Thema der diesjährigen Konferenz lautet: „Into the wild“. Wir berichten von einige der relevanten Sessions.
Kick off: Heute um 12.00h erscheint eine Mitarbeiterin von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Sie argumentiert, daß derzeit der normale Bürger eines Staates total transparent sei, die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung dagegen massiv geschützt gegen die Einsichtnahme in deren Wirkungssphäre, und konstatiert, daß es genau andersherum sein sollte. Privatbürger sollten in ihrer Privatsphäre massiv geschützt, politisch Verantwortliche dagegen maximal transparent sein.
Auf einer der kleinen Bühnen sind Oksana Romaniuk und Alyona Popova zu Gast, zwei Bloggerinnen aus der Ukraine und aus Rußland, die über den schwelenden Konflikt in der Ostukraine und ihre damit zusammenhängende jeweilige persönliche Situation sprechen.
Beeindruckend ist, wie Popova sich eindeutig zu Rußland bekennt und gleichzeitig für eine differenziertere Wahrnehmung Rußlands in den deutschen Medien wirbt. Sie betont, daß sie von Ihrem Selbstverständnis her hier im deutschen Ausland Russland repräsentiert, daß man jedoch aber bitte die russische Politik und die russische Bevölkerung nicht gleichsetzen möge.
Auch wenn die Putinsche Politik von einer Mehrheit der russischen Bevölkerung getragen werde, gebe es eine nicht unbedeutende Anzahl von Menschen in Rußland, die die politische Entwicklung in Russland mit zwiespältigen Gefühlen sähen. Sie spricht von der totalen Propaganda in den russischen Medien, die dort die Unterstützung für Putin sichern. Sie spricht von neuen Gesetzen in Rußland, die hier in den westlichen Medien gar keine Erwähnung finden und die in ihrer Logik wirklich perfide sind. „Putin is putting pressure on the internet. There is a new law in Russia which says that bloggers with more than 3000 followers are considered as ‚mass media‘. And considered as ‚mass media‘ they have to provide ‚true information‘. I do have more than 100.000 followers on my internetblog and so I am considered as ‚mass media‘. So due to this law I have to provide ‚true information‘. So: What is ‚true information‘ ?“
Oksana Romaniuk weist auf einen Vorgang vor einigen Tagen hin, der in der westlichen Berichterstattung keine Erwähnung fand. In Litauen wurde ein russischer TV-Sender abgeschaltet, weil er nach Meinung der litauischen Politik einseitig und parteiisch über die Vorgänge in der Ukraine berichtete und so Unruhe unter der russischen Bevökerung in Litauen erregt. Nun ist die Frage berechtigt, ob die russische Regierung die Abschaltung dieses Senders zum Anlaß nimmt, die Rechte der Russen in Litauen als nicht mehr genügend berücksichtigt zu wähnen und die Lage ähnlich eskaliert wie bis jetzt in der Ukraine geschehen. Kurze Anmerkung dazu: Litauen ist seit 2004 NATO-Mitglied.
Das furiose Ende des heutigen Tages ist die Rede von Sascha Lobo „Zur Lage der Nation“. Er sagt sehr viele kluge Sachen und redet vielen Leuten ins Gewissen. Er adressiert das mehrheitlich junge Publikum, sagt Sachen wie: „Ihr zahlt nicht im Internet. Ihr twittert Eure Meinung und überweist nicht. Eure Eltern überweisen.“ Er hat eine Mission und er hat Sendungsbewußtsein. Er sagt: „Ihr seid im Internet und denkt, das ist Hobby. Aber das hier ist Ernst- und wir können etwas ändern. Wir müssen etwas ändern.“
Er macht Wahlwerbung für die SPD und disst die Piraten. „Die SPD ist aus Internetsicht die am wenigsten schlechte Partei und verdient deswegen unsere Unterstützung.“ Er macht Witze über die Halbwertzeit von FB-Postings und über Leute, die sich nicht bewußt seien, daß das, was sie da gerade posten, irgendwann, in zwei Monaten oder so, wie er sagt, „sooo, sagen wir: ‚mittelgeil‘ ist.“
Gegen Ende der Rede verfällt er in den Duktus eines Rudi Dutschke und verkündet Sätze und Wahrheiten mit dem Potential einer ähnlichen gesellschaftlichen Sprengkraft wie die der frühen 68-er. Er zitiert Marcuse. Er zitiert einen Netzaktivisten: „The Internet is fucked but we can fix it.“
Er macht sich diese Sicht zu eigen und sagt kluge Sachen wie: „Der Internetoptimismus sollte Teil des Gesellschaftsoptimismus sein“. Er verrennt sich in Thesen, wie die, daß in Technologien, wie er sagt, „Gesellschaft eingebaut sei“. Er nennt das Beispiel einer Projektionsbrille, die von einem rein männlichen Entwicklerteam entwickelt worden sei und Technik enthalte, die bewirke, daß Frauen beim Benutzen der Brille schlecht werde. Lobos Brillianz besteht darin, daß er die Forderungen der 68-er, die Forderung nach Freiheit und Demokratie, die Kritik an überkommenen Herrschaftssystemen, in brandaktuelle Forderungen der heutigen Netzgemeinde verwandelt, aus ihnen etwas völlig neues, hochaktuelles macht.
Er projiziert Hashtag-Vorschläge auf den großen Screen über ihm. #Kontrollsucht. #Sicherheitsesoterik. Er bedient sich psychologischer Termini und sagt, unsere Gegner seien nicht die Internetskeptiker, sondern die Internetmissbrauchenden.
Dann wendet er sich an diejenigen, die das Internet weniger aus gesellschaftlichen Gründen relevant finden, sondern die sich mehr für die technischen Aspekte interessieren. Er versucht mit einigen Ausflügen in technische Aspekte des Internet, sich auch in den Kreisen der Nerds sein Standing als führender deutscher Netzaktivist zu sichern. Er sagt: „VW muß eine Softwarefirma werden, und ich glaube, daß VW das noch gar nicht weiß.“ Er zeigt auf dem großen Screen ein Video, in dem er das völlig deintuitive Navigationsystem eines VW-Phaeton Baujahr 2013 bedient. „Jetzt kommen Apple oder Google daher und sagen: Hey, wir haben hier eine coole Software, baut die doch in Eure Autos ein. Und dann: Passiert dasselbe, was vor 30 Jahren mit IBM und Microsoft passiert ist.“
Er fordert, daß die großen Internetkonzerne für Netzneutralität und damit auf der Seite der Nutzer stehen sollten. Er sagt lustige Sachen wie die, daß er sich die Domain „Internetministerium.de“ gesichert habe und bekommt dafür tosenden Applaus.