Tag 2 auf der re:publica TEN: Lasst uns Payment-Genossenschaften gründen.

 

Hier unser Bericht von Tag 2 auf der re:publica TEN. Wir beginnen mit einem Besuch des Panel „Ad-Wars – Ausflug in die Realität der Online-Werbung“. Die Informationen, die wir bekommen, sind alarmierend. Der Vortragende ist selbständiger IT-Sicherheitsberater, sein Partner bei diesem Vortrag ist einer der Sprecher des ‚Chaos Computer Club‘ (CCC).

Ihr Vortrag richtet sich an technisch Verantwortliche von Online-Redaktionen wie Spiegel-Online und anderen Presse-Websites, auf deren Internetpräsenzen Werbung geschaltet wird. Die beiden möchten deren Blick für die Sicherheitsbelange ihrer Leser schärfen. Wir erfahren: Unter anderem ist es technisch durchaus möglich, sich durch den Klick auf eine Werbung Malware wie Trojaner unbemerkt zu installieren.

 

 

 

Es ist frappierend für Unkundige, zu erfahren, was hier alles möglich ist. So werden bei einem Klick auf einen Banner in einem normalen Online-Presse-Beitrag, und wir reden hier über normale Presse-Websites von großen Verlagen, in der Folge binnen Sekunden bis zu 2500 Interaktionen mit fremden Servern ausgelöst. Und nur ein Bruchteil dieser Server gehören dem jeweiligen Verlagshaus, der Großteil sind nicht identifizierbare Server und auch nicht dem Verlagshaus bekannt. Der Rat an die Online-Redaktionen: Macht Euch Gedanken über alternative Finanzierungsmodelle.

 

 

Zur Frage der Finanzierung offerieren die beiden Vortragenden folgende Überlegungen: Der faire Preis pro Artikel ist sicherlich nicht das, was Blendle verlangt (Anm. d. Red.: Blendle ist eine Plattform für bezahlten Inhalt). Es ist auch schlicht nicht nachvollziehbar, daß ich für ein gedrucktes Magazin im Kiosk € 4,50 zahle, und dann online für einen einzigen Artikel € 0,79.

Eine vielversprechende und kluge Idee der beiden: Die Gründung einer Payment-Content-Genossenschaft, also ein Mikro-Payment-System für alle Content-Anbieter, deutschlandweit, besser noch europaweit. Die Abrechnung sollte dabei nach Nutzung ohne individualisiertes Tracking erfolgen. Die Beschäftigung mit alternativen Finanzierungsmodellen für Content ist unausweichlich, und wenn die Werbung im Internet überleben will, muß sie sich den Problemen stellen, und Lösungen finden, mit denen sie ihre Leser nicht in Sicherheitsrisiken stürzt.

 

 

Die nächste Veranstaltung, die wir besuchen, befaßt sich mit der Nutzung von Instagram durch Medienschaffende. Die Vortragende ist Fachautorin mit dem Schwerpunkt auf Visual Social Media Plattformen. Instagram ist schon sehr groß, seit dem Kauf durch Facebook massiv weiter gewachsen und ein relevanter Player in der heutigen Aufmerksamkeits-Ökonomie. Fünfzig Prozent der Instagram-Nutzer sind täglich auf dieser Plattform unterwegs. Immer bedeutender werden hochwertig mit professionellen Kameras erstellte Fotos, es erfolgt eine Abkehr von der Smartphone-Foto-Ästhetik. Das visuelle Storytelling ist bei Instagram fundamental, bei Instagram-Profis auch „Scrollytelling“ genannt.

 

 

Wir schauen noch kurz bei Stage 1 vorbei, wo jemand referiert, der CTO bei Autodesk ist, führender Anbieter für Engineering Software, ein Visionär bezüglich der Entwicklung kommender digitaler Gadgets. Er ist der Meinung, daß wir zukünftig immer mehr dazu übergehen werden, unsere Alltagserfahrungen digitalen Gadgets zur Verfügung zu stellen, damit diese smarter werden. Er sagt: „We have to shape the things that shape the world.“

Ein durchaus kluger Ansatz, der im Grunde dem von Sascha Lobo oft geäußerten Appell an die Netzgemeinde entspricht: Gestaltet den digitalen Wandel.

Zum Abschluß des Tages gehen wir noch zu einem Podiums-Meetup, bei dem ein Journalist des Deutschlandfunks mit Netz-Publizisten und Netz-Publizistinnen über deren Erfahrungen spricht. Die erste Gesprächspartnerin ist eine Bloggerin der ersten Stunde, online unterwegs mit ihren Blog „dasnuf.de“. Sie wird als ‚Mama-Bloggerin‘ bezeichnet und hat sich mit dieser Betitelung inzwischen arrangiert. Für sie ist das Blog quasi ein Verdauungsorgan, in dem sie Sachen „verbloggt“, die sie in ihrem Familienalltag beschäftigen.

 

 

 

Als nächster betritt der Gründer und Minhaber des Podcastlabels „Viertausendhertz“ die Bühne, das sich auf die Produktion von qualitativ hochwertigen Podcasts verlegt hat. Qualitativ hochwertig heißt hier: Relevanten und wirklich interessanten Content enthaltend. Im Gespräch wird deutlich, daß für dieses Label die Kooperation mit Plattformen wie Spotify, Audible und Soundcloud mittlerweile elementar geworden ist. Der Grund liegt darin, daß User am liebsten die Plattformen nutzen, die sie schon kennen. Hier nur mit einer eigenen Plattform an den Start zu gehen, wäre hoffnungslos. Darüberhinaus bekommt man bei diesen Anbietern ein konkurrenzlos günstiges Hosting. Und ein hochperformantes Hosting ist natürlich bei Podcasts essentiell.

Nächste Interviewpartnerin  ist eine Autorin beim österreichischen Magazin ‚Profil‘ (das österreichische Pendant zum ‚Spiegel‘), die sich speziell mit dem Thema „Hass im Netz“ beschäftigt. Sie spricht über die Psychologie der Hasskommentare im Internet. Eine elementare Rolle scheint dabei die Unsichtbarkeit zu spielen. Im direkten, persönlichen Gespräch vis-a-vis schrecken die Menschen in der Regel von der offenen Äußerung von Hass ab, da dies meist vom Gegenüber durch nonverbale Reaktionen wie etwa durch Mimik sanktioniert wird. Dies fällt im Netz völlig weg, und damit ist der Hass quasi barrierefrei. Sie entlarvt  analysiert sehr treffend Hasskommentare wie solche des „Wir sind die schweigende Mehrheit“. Eine skurrile Äußerung in Anbetracht der Tatsache, daß die Betreffenden weder schweigend noch die Mehrheit sind. Das Problem an der Sache ist, daß diese Minderheit im Netz mittlerweile die Tonalität angibt. Auch dadurch, daß Andersdenkende es natürlich wichtig finden, sich gegen Haßkommentare zur Wehr zu setzen. Die Empfehlung ist, nicht mit Hass auf Hass zu reagieren. Dies eskaliert das Gespräch, und genau dies liegt in der Intention und folgt der Logik der Hasskommentatoren.

 

 

Sehr inspiriert und informiert verlassen wir das re:publica-Gelände und mal wieder verliert sich ein interessanter Tag im Berliner Nachtleben.